Serotonin-Überschuss: einer der versteckten Auslöser von ME/CFS?
09. Januar 2024Eine Studie von Lee et al. untersucht die Rolle von Serotonin-Hyperaktivität in der Pathophysiologie von ME/CFS. Durch die Behandlung von Mäusen mit hohen Dosen des SSRI Fluoxetin wurde eine erhöhte Serotoninaktivität induziert, was zu ME/CFS-ähnlichen Symptomen führte. Die Studie zeigt, dass Serotonin-Hyperaktivität, insbesondere die Dysfunktion der 5-HT1A-Rezeptoren, zu Symptomen wie schwerer Erschöpfung, Schmerzempfindlichkeit und Angstverhalten führt und die HPA-Achse beeinträchtigt. Diese Erkenntnisse bieten neue Einblicke in die Pathophysiologie von ME/CFS und könnten zur Entwicklung gezielterer diagnostischer und therapeutischer Strategien beitragen.
ME/CFS betrifft Menschen aller Altersgruppen, ethnischer und sozioökonomischer Hintergründe. Diese Erkrankung, die durch Symptome wie unerfrischenden Schlaf, post-exertionale Malaise (PEM) und kognitive Beeinträchtigungen charakterisiert ist, beeinträchtigt erheblich die Lebensqualität der Betroffenen.
Studienhypothesen und Methoden
Die Studie von Lee et al. untersucht die Hypothese, dass eine Hyperaktivität von 5-Hydroxytryptamin (5-HT), bekannt als Serotonin, eine Rolle in der Pathogenese von ME/CFS spielt. Um diese Hypothese zu überprüfen, wurden Mausmodelle mit hohen Dosen von Fluoxetin, einem selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI), behandelt, um eine erhöhte Serotoninaktivität zu induzieren.
Ergebnisse der Studie
Die Behandlung mit Fluoxetin führte zu signifikant erhöhten Konzentrationen von Serotonin in den dorsalen Raphe-Kernen und dem Hypothalamus sowie zu einer erhöhten Serotoninprojektion in das limbische System. Dies resultierte in Symptomen, die denen von ME/CFS ähneln, einschließlich schwerer Erschöpfung, vermindertem Nestbauverhalten, erhöhter Schmerzempfindlichkeit und Angstverhalten. Zusätzlich wurde eine Dysfunktion der hypothalamisch-hypophysär-adrenalen (HPA) Achse festgestellt.
Der dorsale Raphe-Kern ist eine Struktur im Gehirn, die eine zentrale Rolle in der Regulierung von Stimmung und Emotionen spielt. Er ist der größte Serotonin-Produzent im Gehirn und beeinflusst dadurch wichtige Funktionen wie Schlaf, Appetit und Schmerzwahrnehmung.
Der Hypothalamus ist eine kleine, aber entscheidende Gehirnregion, die als Kontrollzentrum für zahlreiche lebenswichtige Funktionen dient, darunter Hormonregulation, Temperaturkontrolle, Hunger- und Durstgefühle sowie Schlaf- und Wachzyklen.
Das limbische System ist ein komplexes Netzwerk im Gehirn, zuständig für Emotionen, Verhalten und Langzeitgedächtnis. Es umfasst Strukturen wie den Hippocampus, Amygdala und Teile des Hypothalamus, die bei emotionalen Reaktionen und Motivation eine zentrale Rolle spielen.
Die hypothalamisch-hypophysär-adrenale (HPA) Achse ist ein zentrales Stressreaktionssystem des Körpers. Sie umfasst drei Komponenten: den Hypothalamus, der Corticotropin-Releasing-Hormon (CRH) freisetzt, die Hypophyse, die daraufhin Adrenocorticotropes Hormon (ACTH) ausschüttet, und die Nebennierenrinde, die als Reaktion Cortisol produziert, ein Hormon, das den Körper auf Stresssituationen vorbereitet.
Mechanismen und Implikationen
Interessanterweise zeigten die Studienergebnisse, dass diese Serotonin-Hyperaktivität nicht auf quantitative Veränderungen der 5-HT1A-Rezeptoren zurückzuführen war. Stattdessen deuteten die Ergebnisse auf einen Funktionsverlust dieser Rezeptoren hin, was die Hyperserotonergie im limbischen Bereich verstärkte. Die Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung von Serotonin in der ME/CFS-Pathophysiologie und bieten potenzielle diagnostische Hinweise zur Unterscheidung von ME/CFS von ähnlichen Erkrankungen wie Fibromyalgie und depressiven Störungen.
Schlussfolgerungen
Diese Studie bietet erstmalige translational-physiologische Belege für die Beteiligung der Serotonin-Hyperaktivität an der Pathophysiologie von ME/CFS. Sie leistet einen wichtigen Beitrag zum Verständnis eines potenziellen pathophysiologischen Mechanismus dieser komplexen Erkrankung.
“Translational” in der Medizin und Biologie bezieht sich auf die Übertragung von Erkenntnissen aus Grundlagenforschung in klinische Anwendungen, um neue Therapien, Diagnosemethoden oder Behandlungsstrategien für Patient*innen zu entwickeln.