ME/CFS-Definitionen

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ME/CFS-Definitionen haben sich im Laufe der Zeit entwickelt und unterscheiden sich in ihren Schwerpunkten und Kriterien. Die genaue Definition ist von großer Bedeutung, da sie Diagnose, Behandlung und Forschung beeinflusst. Einige Definitionen betonen die neurologischen und multisystemischen Aspekte von ME/CFS, während andere mehr auf Fatigue fokussieren. Die Kanadischen Konsenskriterien (CCC) und die International Consensus Criteria (ICC) stellen Fortschritte dar, indem sie PEM (Post-Exertional Neuroimmune Exhaustion) als zentrales Symptom hervorheben. Die IOM-Definition ist weit gefasst und birgt das Risiko von Fehldiagnosen. Die Vielfalt der Definitionen erschwert die Diagnosestellung und führt zu Forschungskontroversen. Die politischen und sozialen Einflüsse tragen zur Komplexität der Definition bei. Eine einheitliche, präzise Definition ist entscheidend, um ME/CFS besser zu verstehen und angemessen zu behandeln.

1. Überblick und Bedeutung der ME/CFS-Definitionen

Die Definitionen von Myalgischer Enzephalomyelitis/Chronic Fatigue Syndrome (ME/CFS) haben im Laufe der Zeit erheblich variiert, wobei jede Definition ihre spezifischen Merkmale und Kritikpunkte aufweist. Die Bedeutung präziser Definitionen ist insbesondere bei Krankheiten unbekannter Ätiologie, wie ME/CFS, von großer Wichtigkeit. Fehldefinitionen können zu Missverständnissen, falschen Vorstellungen und somit zu inadäquaten Behandlungsansätzen führen.

Die Entwicklung der Definitionen – ein Überblick

Ramsay-Definition (1986)

Die Ramsay-Definition, benannt nach Dr. Melvin Ramsay, einem Pionier in der ME-Forschung, beschreibt ME als eine primär neurologische Multisystemerkrankung, ausgelöst durch eine Virusinfektion, mit einer Vielzahl von Symptomen, darunter muskuläre Dysfunktion, Kopfschmerzen und orthostatische Intoleranz. Besonders hervorgehoben wird die Zustandsverschlechterung nach Belastung (PEM).

Holmes-Definition (1988)

Die Holmes-Definition führte den Begriff “Chronic Fatigue Syndrome” ein. Sie konzentrierte sich auf die Symptome einer chronischen Erschöpfung, die die tägliche Aktivität stark einschränkt, und forderte den Ausschluss anderer Erkrankungen mit ähnlichen Symptomen.

Ramsay/Dowsett-Definition (1990)

Eine Überarbeitung der Ramsay-Definition durch Ramsay und Dowsett legte den Fokus stärker auf die Erschöpfung der Muskulatur und die verlängerte Regeneration nach Anstrengung. Jedoch ging dabei der Zusammenhang mit neurologischen Störungen und dem schubförmigen Charakter der Krankheit verloren.

Australische Definition (1990)

Diese Definition verlangte lediglich eine signifikante Störung der gewohnten Aktivität und den Ausschluss anderer Diagnosen. Sie wird kritisiert, da sie keine somatischen Begleitsymptome fordert, was ihre praktische Anwendung und Forschungsrelevanz einschränkt.

Oxford-Definition (1990)

Initiiert von britischen Psychiatern, darunter Mitglieder der sogenannten Wessely-School, stellte diese Definition ME als psychiatrisches Leiden dar. Sie schloss typische klinische Hinweise auf eine körperliche Erkrankung aus und fokussierte hauptsächlich auf Fatigue.

Fukuda-Definition (1994)

Die Fukuda-Definition, benannt nach Keiji Fukuda, wurde von der CDC herausgegeben und war eine Fortentwicklung der Holmes-Definition. Sie erwies sich als besser für biomedizinische Studien, jedoch fehlte auch hier das wesentliche Kriterium der neuroimmunen Entkräftung nach Belastung (PEM).

London Criteria (1994)

Diese Kriterien wurden als Gegenreaktion zu den CFS-Definitionen geschaffen, wobei der Fokus auf Erschöpfung nach minimaler Anstrengung, neurologische Probleme und Symptomfluktuation gelegt wurde. Sie versuchten, ME deutlich von psychiatrischen Erkrankungen abzugrenzen.

Kanadische Definition (2003)

Das Kanadische Konsensdokument stellte einen Fortschritt dar, da es das Krankheitsbild differenzierter darstellte und biomedizinische Forschungsergebnisse integrierte. Es unterschied sich in seinem Fokus auf PEM deutlich von den vorherigen Definitionen.

Empirische Definition (2005)

Diese Definition wird kritisiert, da sie die Fukuda-Kriterien weiter verwässerte und ein breites Spektrum an Symptomen zuließ, was zu einer Vermischung von Patienten mit verschiedenen Erkrankungen führte.

Nightingale-Definition (2007)

Diese Definition, benannt nach Florence Nightingale, konzentrierte sich auf den epidemischen Charakter von ME und verwendete moderne wissenschaftliche Testmethoden. Sie unterschied ME klar von CFS und fokussierte auf die neurologische Organpathologie. Allerdings vernachlässigte sie das Kardinalsymptom PEM.

IOM-Definition (2015)

Die IOM-Kriterien sind weit gefasst und könnten zu Fehldiagnosen führen. Sie fordern keine Ausschlussdiagnose und konzentrieren sich hauptsächlich auf nicht objektivierbare Symptome wie Fatigue und PEM.

Zusammenfassung

Jede dieser Definitionen spiegelt die sich entwickelnde Sichtweise auf ME/CFS wider, wobei einige die biologischen Aspekte der Krankheit betonen, während andere mehr auf psychische Symptome fokussieren. Die Entwicklung und Verfeinerung der Definitionen sind entscheidend für eine adäquate Diagnose und Behandlung von ME/CFS, sowie für die wissenschaftliche Forschung in diesem Bereich. Insbesondere die Betonung von PEM als zentralem Merkmal ist ein wesentlicher Fortschritt in der Anerkennung der spezifischen Pathologie von ME/CFS.

2. Ramsay-Definition: Die Grundlagen

Die Ramsay-Definition, benannt nach Dr. Melvin Ramsay, einem der ersten Forscher, der sich intensiv mit ME/CFS beschäftigte, ist eine der grundlegenden Definitionen für diese Erkrankung. Sie legt den Fokus auf neurologische und multisystemische Aspekte der Erkrankung.

Schlüsselaspekte der Ramsay-Definition

Ursprung und Entwicklung

Die Ramsay-Definition entstand in den 1980er Jahren und basierte auf den Beobachtungen von ME/CFS-Ausbrüchen, insbesondere dem Ausbruch am Royal Free Hospital in London 1955. Ramsay konzeptualisierte ME/CFS als eine primär neurologische Erkrankung, die durch eine Virusinfektion ausgelöst wird​​.

Symptome und Merkmale

Zu den Kernsymptomen der Ramsay-Definition gehören:

  1. Neurologische Störungen: Diese beinhalten eine Vielzahl von Symptomen wie kognitive Beeinträchtigungen, sensorische und autonome Nervensystemdysfunktionen.
  2. Multisystemische Beteiligung: Neben neurologischen Störungen umfasst die Definition auch Symptome, die auf Beteiligungen des kardialen, endokrinen, lymphoiden und Lebersystems sowie muskuläre Dysfunktionen hinweisen.
  3. Post-exertionelle Malaise (PEM): Ein zentrales Merkmal der Ramsay-Definition ist die Zustandsverschlechterung nach Belastung (PEM), die auf eine zentralnervös bedingte Erschöpfung nach kognitiver oder physischer Anstrengung hinweist.

Akute und chronische Phase

Ramsay unterschied zwischen der akuten und der chronischen Phase der Krankheit, wobei in der akuten Phase infektähnliche Symptome vorherrschend sind, während in der chronischen Phase neurologische und multisystemische Symptome im Vordergrund stehen​​.

Klinische Relevanz

Die Ramsay-Definition gilt als einer der ersten Versuche, ME/CFS als eigenständige Erkrankung zu definieren, und legt besonderen Wert auf die neurologische Dimension und die multisystemische Natur der Erkrankung. Durch diese Definition wurde ein Rahmen für spätere Forschungen und Definitionen geschaffen, die auf den von Ramsay identifizierten Symptomen und Charakteristiken aufbauen.

Fazit

Die Ramsay-Definition von ME/CFS ist ein wichtiger Meilenstein in der Geschichte der Erkrankung. Sie bietet einen umfassenden Blick auf die vielschichtigen und komplexen Symptome von ME/CFS und betont die Bedeutung von neurologischen und multisystemischen Aspekten sowie der post-exertionellen Malaise. Diese Definition bildet eine solide Grundlage für das Verständnis und die weitere Forschung von ME/CFS.

3. Holmes- und Fukuda-Definitionen: Entwicklung und Kritik

Die Holmes- und Fukuda-Definitionen sind zwei wichtige Meilensteine in der Geschichte der ME/CFS-Definitionen, wobei beide sowohl Entwicklungen als auch Kritikpunkte mit sich brachten.

Holmes-Definition (1988)

Entwicklung

Die Holmes-Definition von 1988 war die erste, die den Begriff “Chronic Fatigue Syndrome” (CFS) einführte. Sie entstand im Kontext der Diskussion um eine mögliche Verbindung zwischen chronischer Epstein-Barr-Infektion und ME/CFS, eine Verbindung, die sich allerdings nicht in allen Fällen bestätigen ließ. Die Definition fokussierte auf Fatigue und schubweise schwächende Müdigkeit, die die tägliche Aktivität stark einschränkt und sich auch durch Bettruhe nicht bessert. Sie verlangte zudem den Ausschluss anderer Krankheiten, die ähnliche Symptome verursachen könnten​​.

Kritik

Ein Hauptkritikpunkt an der Holmes-Definition ist, dass sie ältere Literatur zu ME und dokumentierte Ausbrüche ignorierte und somit wichtige Aspekte der Erkrankung vernachlässigte. Zudem führte die Fokussierung auf Fatigue und die Vernachlässigung anderer Symptome wie post-exertionelle Malaise (PEM) zu einer unvollständigen Darstellung des Krankheitsbildes.

Fukuda-Definition (1994)

Entwicklung

Die Fukuda-Definition, benannt nach Keiji Fukuda und im Auftrag der CDC entwickelt, war eine Weiterentwicklung der Holmes-Definition. Sie wurde meist für Studien verwendet, die eine biomedizinische und keine psychiatrische Verursachung der Krankheit belegten. Allerdings fehlte auch hier das Kardinalsymptom der ME/CFS, die neuroimmune Entkräftung nach Belastung (PEM)​​.

Kritik

Kritisiert wurde an der Fukuda-Definition insbesondere, dass sie Depressionen, Somatisierungsstörungen und Angsterkrankungen nicht ausschloss. Dies führte dazu, dass Patienten mit verschiedenen Erkrankungen in Studien zusammengefasst wurden, was die Ergebnisse verfälschte. Zudem lag der Fokus der Definition stark auf dem Symptom Fatigue, welches jedoch kein definierendes Merkmal von ME/CFS darstellt. Dadurch blieb das eigentliche Kardinalsymptom PEM unberücksichtigt​​.

Zusammenfassung

Sowohl die Holmes- als auch die Fukuda-Definition brachten wichtige Entwicklungen im Verständnis von ME/CFS mit sich, hatten jedoch auch wesentliche Mängel. Insbesondere die Reduzierung der Krankheit auf das Symptom Fatigue und das Fehlen von PEM als Kardinalsymptom führten zu einer unvollständigen und teils irreführenden Darstellung des Krankheitsbildes. Diese Definitionen trugen dazu bei, dass ME/CFS in der medizinischen Gemeinschaft und in der Forschung lange Zeit missverstanden und unzureichend behandelt wurde.

4. Kanadische und Internationale Konsenskriterien: Fortschritte in der Definition

Kanadische Konsenskriterien (CCC)

Die Kanadischen Konsenskriterien (CCC), veröffentlicht im Jahr 2003, markierten einen bedeutenden Fortschritt in der Definition von ME/CFS. Sie integrierten biomedizinische Forschungsergebnisse und grenzten sich klar von psychischen und psychiatrischen Erkrankungen ab. Diese Definition wurde für ihre differenzierte Darstellung des Krankheitsbildes und ihre Eignung sowohl für die Forschung als auch die klinische Praxis gelobt.

Studienvergleich

Eine Studie von Dr. Leonard Jason verglich die CCC mit den Fukuda-Kriterien. Dabei stellte sich heraus, dass Patienten, die die CCC erfüllten, stärker in ihrer körperlichen Funktionsfähigkeit eingeschränkt waren und mehr neurokognitive, neurologische und kardiopulmonale Anomalien aufwiesen als die Vergleichsgruppe, die an chronischer Erschöpfung infolge einer Depression litt. Dies zeigte, dass die CCC effektiver als die Fukuda-Kriterien waren, um ME/CFS von psychischen Erkrankungen abzugrenzen​​.

Internationale Konsenskriterien (ICC)

Die International Consensus Criteria (ICC), ebenfalls von Carruthers et al. entwickelt und 2011 veröffentlicht, bauen auf den CCC auf. Sie unterscheiden sich hauptsächlich in zwei wesentlichen Punkten:

  1. Post-exertional Neuroimmune Exhaustion (PENE): Im Gegensatz zu den CCC, die von “post-exertional malaise” (PEM) sprechen, definierten die ICC das Phänomen als PENE, was auf die neuroimmunologischen Symptome nach Anstrengung verweist. Dieses Merkmal wird als Alleinstellungsmerkmal der ME/CFS betrachtet, da es auf tiefgreifende Dysfunktionen in den neurologischen, immunologischen, kardiovaskulären und energieproduzierenden Systemen des Körpers hinweist​​.
  2. Abgrenzung von anderen Erkrankungen: Die ICC heben hervor, dass PENE ein objektiv messbares Kriterium ist und sich von der rein subjektiv empfundenen PEM unterscheidet. Dies trägt dazu bei, ME/CFS klarer von anderen Krankheiten zu differenzieren, da PENE mit objektivierbaren biomedizinischen Anomalien einhergeht.

Empirische Definition (2005)

Die Empirische Definition von 2005, entwickelt von William Reeves und anderen, gilt als problematisch, da sie die Fukuda-Kriterien verwässerte. Sie wurde kritisiert, weil sie Menschen mit rein gesellschaftlichen Funktionsbeeinträchtigungen oder emotionalen Problemen fälschlicherweise als an „CFS“ erkrankt einstufte. Diese Definition wurde sogar von Mitgliedern der Wessely-School, die an ihrer Entwicklung beteiligt waren, kritisiert​​.

Zusammenfassung

Die Entwicklung der CCC und ICC stellt einen bedeutenden Fortschritt in der Definition und dem Verständnis von ME/CFS dar, indem sie die biomedizinischen Aspekte der Krankheit hervorheben und eine klare Abgrenzung zu psychischen Erkrankungen ermöglichen. Im Gegensatz dazu hat die Empirische Definition zu einer Verwässerung der Kriterien und einer Vermischung von Patientenpopulationen geführt, was die Forschung und das Verständnis von ME/CFS beeinträchtigt hat.

5. Die IOM-Definition und ihre Bedeutung für ME/CFS

Einführung

Die IOM-Definition von ME/CFS wurde Anfang 2015 vom Institute of Medicine (IOM) veröffentlicht. Sie ist von signifikanter Bedeutung, da sie die Diagnosekriterien für ME/CFS neu definiert und damit auch die Wahrnehmung der Krankheit beeinflusst.

Hauptmerkmale der IOM-Definition

Weitgefasste Kriterien

Die IOM-Definition ist durch ihre sehr weitgefassten Diagnosekriterien charakterisiert, die eine hohe Gefahr von Fehldiagnosen bergen. Im Gegensatz zu anderen Definitionen wie der Empirischen oder der Oxford Definition verlangt die IOM-Definition keinerlei Ausschlussdiagnose. Dies bedeutet, dass auch Patient*innen mit anderen organischen oder psychiatrischen Krankheiten fälschlicherweise als ME/CFS-Patient*innen diagnostiziert werden könnten​​.

Kernsymptome

Die Definition verlangt drei Kernsymptome für die Diagnosestellung:

  1. Eine signifikante Reduktion des prämorbiden Niveaus, begleitet von Fatigue, die nicht das Ergebnis exzessiver Verausgabung ist und sich durch Ruhe nicht wesentlich verbessert.
  2. Post-exertional Malaise (PEM).
  3. Nicht erholsamer Schlaf.

Zusätzlich ist eines der folgenden Symptome erforderlich: kognitive Beeinträchtigungen oder orthostatische Intoleranz​​.

Kritik und Bedenken

Die Vereinfachung der Diagnosekriterien, um die Identifizierung von Patient*innen durch Allgemeinmediziner*innen zu erleichtern, wird kritisch gesehen. Es wird argumentiert, dass eine solche Vereinfachung bei einer komplexen Krankheit wie ME/CFS nicht angemessen ist und zu Fehldiagnosen führen kann. Zudem wird bemängelt, dass wichtige Aspekte der Krankheit, wie der infektiöse Charakter und die grippeähnliche Symptomatik, die typischerweise PENE (Post-Exertional Neuroimmune Exhaustion) begleiten, in der Definition fehlen​​.

Auswirkungen auf Forschung und Diagnose

Durch die breiten Kriterien und das Fehlen einer Ausschlussdiagnose besteht die Gefahr, dass die Prävalenzraten von ME/CFS künstlich ansteigen und Patient*innenpopulationen in Forschungsstudien vermischt werden. Dies könnte zu irreführenden Forschungsergebnissen führen und das Verständnis sowie die Behandlung der Krankheit negativ beeinflussen​​.

Umbenennung in SEID

Mit der Einführung der IOM-Definition wurde ME/CFS auch in “Systemic Exertion Intolerance Disease” (SEID) umbenannt. Diese Bezeichnung wird jedoch kritisiert, da sie das Ansehen der Patient*innen nicht verbessert und teilweise als herabsetzend empfunden wird​​.

Fazit

Die IOM-Definition von ME/CFS hat eine weitreichende Bedeutung für die Diagnose und das Verständnis der Erkrankung. Ihre breit gefassten Kriterien und die fehlende Notwendigkeit einer Ausschlussdiagnose bergen jedoch das Risiko von Fehldiagnosen und könnten die Qualität der Forschung beeinträchtigen. Die Umbenennung in SEID wird kontrovers diskutiert und spiegelt die andauernden Herausforderungen in der Wahrnehmung und Behandlung von ME/CFS wider.

6. Die Rolle von PEM in den verschiedenen Definitionen

Post-exertionelle Malaise (PEM) spielt eine zentrale Rolle in der Diagnose und im Verständnis von Myalgischer Enzephalomyelitis/Chronischem Fatigue-Syndrom (ME/CFS).

Bedeutung von PEM

PEM bezeichnet eine signifikante Verschlechterung der Symptome von ME/CFS nach physischer, emotionaler oder geistiger Anstrengung. Diese Verschlechterung kann unverhältnismäßig stark und langanhaltend sein, und die Erholungsphase kann Tage oder sogar Wochen dauern. PEM ist ein Kernmerkmal von ME/CFS und dient als wichtiges Unterscheidungsmerkmal gegenüber anderen Erkrankungen, die auch Erschöpfungszustände umfassen können.

PEM in verschiedenen Definitionen

Ramsay-Definition

In der Ramsay-Definition wird PEM als zentrales Symptom betrachtet, das die Zustandsverschlechterung nach Belastung umfasst. Diese Definition hebt die neurologischen und multisystemischen Aspekte der Erkrankung hervor.

Fukuda-Definition

Die Fukuda-Definition, die den Begriff “CFS” einführte, berücksichtigt PEM nicht als obligatorisches Kriterium, was zu einer unvollständigen Darstellung des Krankheitsbildes führt.

Kanadische und Internationale Konsenskriterien

Die Kanadischen Konsenskriterien (CCC) und die International Consensus Criteria (ICC) betonen beide PEM, wobei die ICC PEM spezifischer als “Post-Exertional Neuroimmune Exhaustion” (PENE) definieren, um die neuroimmunologischen Symptome nach Anstrengung zu betonen.

IOM-Definition

Die IOM-Definition von 2015 schließt PEM als eines der Kernsymptome ein. Allerdings wird kritisiert, dass die Definition insgesamt zu weit gefasst ist und wichtige Aspekte der Erkrankung, wie den infektiösen Charakter und die grippeähnliche Symptomatik, die PENE begleiten, vernachlässigt.

Kritik und Herausforderungen

Die unterschiedliche Berücksichtigung und Definition von PEM in den verschiedenen ME/CFS-Definitionen führt zu Herausforderungen in Diagnose und Forschung. Einige Definitionen wie die IOM-Definition sind zu weit gefasst, während andere wie die Fukuda-Definition PEM nicht ausreichend betonen. Die differenzierte Betrachtung und spezifische Definition von PEM in den CCC und ICC sind Schritte in die richtige Richtung, um ME/CFS besser zu verstehen und von anderen Erkrankungen abzugrenzen.

Fazit

Die adäquate Berücksichtigung und Definition von PEM in den Diagnosekriterien von ME/CFS ist essentiell, um die Einzigartigkeit und Komplexität dieser Erkrankung zu erfassen. Zukünftige Definitionen und Forschungen sollten weiterhin auf die präzise Erfassung und Bewertung von PEM fokussieren, um die Diagnosestellung zu verbessern und ein tieferes Verständnis der Erkrankung zu ermöglichen.

7. Herausforderungen und Kontroversen in der Definition von ME/CFS

Die Definition von ME/CFS ist von zahlreichen Herausforderungen und Kontroversen geprägt. Diese beziehen sich vor allem auf die Vielfalt der Definitionen, die sich im Laufe der Zeit entwickelt haben, und die daraus resultierenden Schwierigkeiten in der Diagnosestellung, Behandlung und Forschung.

Vielfalt der Definitionen

Die verschiedenen Definitionen von ME/CFS, wie die Ramsay-Definition, die Fukuda-Definition, die Kanadischen Konsenskriterien (CCC), die International Consensus Criteria (ICC) und die IOM-Definition, haben unterschiedliche Schwerpunkte und Kriterien. Diese Vielfalt führt zu Uneinigkeit und Verwirrung darüber, was genau ME/CFS charakterisiert und wie es diagnostiziert werden sollte.

Herausforderungen in der Diagnose

Die unterschiedlichen Definitionen erschweren eine einheitliche Diagnose von ME/CFS. Während einige Definitionen spezifische Symptome wie post-exertionelle Malaise (PEM) oder neuroimmune Erschöpfung (PENE) betonen, legen andere den Fokus auf Fatigue als Hauptsymptom. Diese Unterschiede führen zu Problemen in der Abgrenzung von ME/CFS zu anderen Erkrankungen und zu einer unzureichenden Berücksichtigung der Vielschichtigkeit der Symptome.

Kontroversen in der Forschung

Die Vermischung verschiedener Patient*innen-Populationen in Studien, die aufgrund uneinheitlicher Definitionen erfolgt, führt zu verfälschten Forschungsergebnissen. Dies beeinträchtigt das Verständnis der Pathophysiologie von ME/CFS und die Entwicklung effektiver Behandlungsansätze.

Psychiatrisierung und Stigmatisierung

Einige Definitionen, wie die Oxford-Definition, wurden kritisiert, weil sie ME/CFS als primär psychiatrische Erkrankung darstellen. Dies hat zu einer Stigmatisierung der Betroffenen geführt und die Anerkennung von ME/CFS als ernsthafte somatische Erkrankung erschwert.

Fehlende Biomarker

Die Abwesenheit allgemein anerkannter Biomarker für ME/CFS erschwert zusätzlich die Definition und Diagnose der Erkrankung. Dies führt zu einer Überbetonung subjektiver Symptome wie Fatigue in einigen Definitionen, was die Diagnosestellung weiter kompliziert.

Politische und soziale Einflüsse

Die Definition von ME/CFS ist auch von politischen und sozialen Einflüssen geprägt. Kontroversen um die Finanzierung der Forschung, die Einflüsse von Versicherungsgesellschaften und die Rolle von Patientenadvokaten beeinflussen die Art und Weise, wie ME/CFS definiert und wahrgenommen wird.

Fazit

Die Herausforderungen und Kontroversen in der Definition von ME/CFS spiegeln die Komplexität und das unzureichende Verständnis dieser Erkrankung wider. Eine einheitliche, präzise Definition, die die Vielschichtigkeit der Symptome berücksichtigt und von der medizinischen Gemeinschaft breit akzeptiert wird, ist essentiell, um die Diagnose, Behandlung und Forschung von ME/CFS voranzubringen.